Scheitern: Kaum jemand spricht darüber

Wenn ich durch meine Social-Media-Kanäle scrolle, lese ich überall nur von vermeintlich erfolgreichen Menschen. Erfolg im Job, Erfolg im Business, Erfolg in der Schule, Erfolg in der Liebe, Erfolg mit Finanzen, Erfolg in der Politik, Erfolg, Erfolg, Erfolg … überall nur Erfolg … Scheitern? Fehlanzeige. Man könnte meinen, wir leben in einem Paradies, ohne Probleme, Krankheiten, finanzielle Nöte oder irgendeine Art von Missständen. Aber gut, die Sicht auf die Welt in den sozialen Medien ist auch vielfach verzerrt und insbesondere in der Geschäftswelt „schön gepostet“. Denn, wer gibt schon gerne zu, dass es nicht gut läuft und dass Projekte scheitern.

Scheitern

In diesem Artikel möchte ich mich dem Thema Scheitern widmen und den Blick weg von der bunten Welt des erfolgreichen „hustlens“ richten.

Scheitern: „Ill news is an ill guest.“

Eine schlechte Nachricht ist ein schlechter Gast.

Jemandem zu gestehen, dass man gescheitert ist, ist eines der unangenehmsten Dinge im Leben. Noch unangenehmer ist es, sich selbst das eigene Scheitern einzugestehen. Neben dem vernichtenden Gefühl der Niederlage folgt nicht selten der finanzielle Verlust.

Unternehmer scheitern und gehen in die Insolvenz. Nach gescheiterten Karrieren folgen Arbeitslosigkeiten mit schweren Depressionen. Politische Reformen scheitern und führen zu Regierungskrisen und Abwahlen.

Existenzen scheitern und Menschen werden obdachlos. Produkte scheitern nach vielen erfolgreichen Jahren.

Wer kann sich noch an die Glanzzeiten von Nokia erinnern?

Wenn also das Scheitern so allgegenwärtig ist, warum tun wir uns so schwer damit, einzugestehen, dass wir gescheitert sind?

Scheitern

Die Antwort könnte darin liegen, dass sich niemand gerne eingesteht, eine falsche Entscheidung getroffen zu haben.

Das Scheitern wird als Bankrotterklärung der eigenen Kompetenz und Entscheidungsfähigkeit empfunden.

Wer möchte schon mit jemandem zusammenarbeiten, der das ganze Projekt vermasselt hat.

Wer möchte von jemandem Ratschläge im Leben, der mehrere gescheiterte Ehen und Selbständigkeiten hinter sich hat.

In unserer Leistungsgesellschaft wird jeder von uns an seinen Erfolgen gemessen und für das Scheitern verurteilt. Misserfolge werden geächtet und sollen möglichst nicht in der Bilanz vorkommen.

Lücken im Lebenslauf werden als Karriereknicks interpretiert und sind bei vielen Personalern gar nicht gern gesehen.

Scheitern wird bei uns als der Killer des Selbstwertgefühls empfunden.

Verständlich also, dass wir das Scheitern möglichst ausblenden und durch positive Nachrichten ersetzen wollen.

Ist das Scheitern schlimm?

Ist das Scheitern wirklich so schlimm? Für die meisten Мenschen ja, für die Psychologen nicht. Die Psychologie fordert nur den richtigen Umgang mit Niederlagen.

Fakt ist:

Wer nichts tut, kann auch nicht scheitern.

Mit meinem ersten Job als LKW-Fahrer im Jahr 2008 bin ich so richtig gescheitert. Mehrere Jahre habe ich den Ausstieg aus dem Schichtdienst geplant, Geld für den LKW-Führerschein zusammen gespart, in die Fahrausbildung investiert und bin gescheitert.

Ich habe mich vor dem Vorhaben viel zu wenig über den Beruf informiert und erlebte mein blaues Wunder, als sich herausstellte, dass es ein enorm stressiger und teilweise ausbeuterischer Job ist.

Nur:

Wäre ich diesen Weg nicht gegangen, hätte ich die Erfahrung niemals gemacht.

Ohne diese negative Erfahrung hätte ich nie eine Kurskorrektur vorgenommen. Bittere Erfahrungen sind erforderlich und lehrreich.

Viele Fehlversuche führen zum Erfolg.

Nicht selten führen erst viele Fehlschüsse zu großen Entdeckungen.

In der Wissenschaft wird das Prinzip der Trial-and-Error-Methode genutzt. Es wird so oft und so lange herumprobiert, bis es endlich klappt. Die Fehlversuche zeigen den Weg zum Erfolg.

Doch auch zufällige Fehler führen oft zu sensationellen Entdeckungen, die besten Beispiele sind Teflon, Penicillin und Benzol.

Während das Scheitern in der Karriere als eine persönliche Niederlage empfunden wird, ist es in der Wissenschaft systematisch einkalkuliert.

Erst durch Niederlagen und Fehler kann sich der Mensch neu erfinden und neue Wege gehen.

Sehr oft muss man im Leben erst auf die Nase fallen, um zu erkennen, dass man den falschen Weg geht, den falschen Job hat und die falschen Ziele verfolgt.

Nach dem Scheitern kommt die Kurskorrektur und nach dieser der Erfolg. Viele erfolgreiche Unternehmer wurden erst dann erfolgreich, nachdem sie etwas immer und immer wieder versucht haben.

Irgendwann kam der Durchbruch.

Trial-and-Error-Methode.

Prominente Persönlichkeiten, die gescheitert sind

Dass das Scheitern die Vorstufe des Erfolgs ist, zeigen die Beispiele von prominenten Persönlichkeiten der Menschheitsgeschichte, die vor dem Erfolg mehrfach gescheitert sind.

  • Albert Einstein konnte erst mit vier Jahren sprechen und schaffte die Aufnahmeprüfung an der ETH Zürich nicht. Der Grund waren mangelnde Französischkenntnisse.
  • Thomas Edison hatte über 200 Versuche, bis er die Glühbirne erfand. Von den 200 Glühbirnen, die nicht funktionierten, hat er eine Lehre gezogen und für den nächsten Versuch verwendet.
  • Winston Churchill blieb in der Schule mehrfach sitzen. Als er sich beim Militär bewarb, fiel er zwei Mal durch die Aufnahmeprüfung. Erst im Alter von 62 Jahren wurde er Premierminister von Großbritannien.
  • Henry Ford war mehrmals pleite. Er gründete die Detroit Automobile Company, die später insolvent wurde. Erst später, wurde er mit der Ford Motor Company erfolgreich.
  • Walt Disney ging mit seiner ersten Firma pleite und musste seine Kamera verkaufen, um sich das Zugticket nach Kalifornien zu leisten. Erst später konnte er Disneyland aufbauen.
  • Joanne K. Rowling lebte von Sozialhilfe, bevor sie mit Harry Potter berühmt wurde.

Wie man sieht, sind einige der erfolgreichsten Persönlichkeiten etliche Male so richtig gescheitert, bis sie erfolgreich wurden.

Ganz ehrlich, wenn alles so ganz ohne Scheitern und auf Anhieb funktionieren würde, das wäre doch langweilig, oder?

Trial-and-Error? Bloß nicht bei uns!

In Deutschland sind wir (überwiegend) sicherheitsorientiert. Hierzulande beschäftigt man sich nicht mit solchen riskanten Dingen wie Aktien. Um Gottes willen!

Das gute alte Sparbuch ist „sicher“. Und ein Tagesgeldkonto bietet immerhin einen Mini-Zinssatz, was will man mehr. Gerade mal vier Prozent der Deutschen investieren in Wertpapiere.

Existenzgründung von null auf, Unternehmergeist, Risikobereitschaft – Fehlanzeige.

Am besten man kommt irgendwo im öffentlichen Dienst unter, da hat man eine sichere Arbeitsstelle. Oder aber man sucht sich einen guten Arbeitgeber aus, da ist man sicher. Blöd nur, dass dieser Arbeitgeber auch ein Unternehmer mit einem Unternehmensrisiko ist.

Wir legen unsere berufliche Zukunft lieber in fremde Hände, statt diese selbst zu kreieren. Wir lassen uns chauffieren, statt selbst das Steuer zu übernehmen.

Denn, man könnte ja scheitern. Aber der Arbeitgeber, bei dem man beschäftigt ist, der kann das natürlich nicht. 😉

Eine komplett andere Gründerkultur findet sich in den USA. Bei fast jeder Unterhaltung mit einem Amerikaner werde ich gefragt:

What kind of Business are you running?

Sie fragen nicht danach, wo man beschäftigt ist, sondern welche Art von Geschäft man betreibt. Es ist genau dieser Unternehmergeist, der Giganten wie Microsoft, Apple, PayPal, Amazon, Ebay, Google & Co. hervorgebracht hat.

Scheitern

Mit Tesla haben wir erstmals einen Hersteller, der die traditionellen Automobilhersteller auf ganzer Linie herausfordert.

Trial-and-Error? Ja, aber nicht bei uns.

Scheitern – Fazit

Scheitern ist gut und notwendig. Ohne Scheitern gibt es keinen Fortschritt.

Dennoch gibt es in Deutschland (leider) keine Kultur des Scheiterns. Scheitern wird oft mit Versagen gleichgesetzt.

Es gibt keinen Spitzenverein, der nicht schon mal bei einer Meisterschaft gescheitert ist. Na und, dann klappt es eben in der nächsten Saison.

Wo gehobelt wird, da fallen auch Späne.

Man sollte sich nicht über das Scheitern ärgern, sondern darum, es nie versucht zu haben.

Wer im Leben etwas erreichen will, der sucht nach einem Weg. Wer nichts erreichen will, der sucht nach Ausreden.

Sladjan Lazic